„Die alles dominierende politische Frage der vergangenen Monate in Deutschland, der Flüchtlingszustrom und der Umgang der Regierung damit, hat neue Bruchlinien in der Gesellschaft offenbart. Das Vertrauen in die etablierten Parteien nimmt ab und spült Wählerstimmen zur konservativ-nationalpatriotischen Alternative für Deutschland (AfD). Die deutschen Linken nehmen erstaunt und verbittert zur Kenntnis, dass auch sie davon betroffen sind.
«Saft- und kraftlos»
Weder gelang es den Sozialdemokraten als Teil der Koalition in Berlin, aus der Politik von Bundeskanzlerin Angela Merkel politisches Kapital zu schlagen, noch profitierte die offiziell internationalistische, pazifistische Linkspartei von der «Willkommenskultur». Im Gegenteil zeigten gerade die zur traditionellen Klientel beider linker Parteien gehörenden Wähler, wie nah sich die politischen Ränder sind, wenn es um Protest, soziale Konkurrenz und Kultivierung einer Opferhaltung geht. In Sachsen-Anhalt hatten viele der 24 Prozent AfD-Wähler bei der Landtagswahl im März früher die Linkspartei gewählt. Statt den Ministerpräsidenten zu stellen, worauf diese noch vor Jahresfrist hatte hoffen dürfen, ist sie nun hinter der AfD bloss zweitstärkste Oppositionspartei. In Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg schaffte sie den Einzug ins Parlament gar nicht.
Mit der Schwierigkeit, in der Flüchtlingspolitik eine Position zu vertreten, die bei einem grösseren Teil der Wählerschaft schlecht ankommt, kämpfen auch die Unionsparteien und die SPD. Wie bei diesen Parteien entzweit der Streit auch führende Vertreter der Linkspartei.“ (…)